Theater-Adventskalender 2020

von Torsten Schlegel

Jeden Tag etwas Neues ...

Normalerweise wären wir um diese Zeit des Jahres kurz vorm Durchdrehen, kurz vor der Premiere und also mitten in den letzten Vorbereitungen.

Nun ist aber in diesem Jahr so vieles anders, und wir müssen versuchen, uns neu zu finden und zu erfinden.

Deswegen gibt es an dieser Stelle an jedem Tag des Monats bis zum Heiligabend einige Impressionen vom Tage, Ideen, Gedanken und Erlebnisse rund ums Schülertheater an der Schillerschule.

Seid gespannt!

 

 

Dienstag, 1. Dezember:

 

Heute waren endlich einmal ziemlich viele zur Probe gekommen. Nachdem wir letzte Woche eine erste Einteilung vorgenommen hatten, wer welche Gesichter schminkt (bei jeder Maske sollten mindestens zwei Maskenbildner dazu in der Lage sein), ging es heute ans Ausprobieren. Die ersten Ergebnisse waren vielversprechend – auf die versprochenen Fotos warte ich allerdings noch.

Außerdem haben wir etliche Filmaufnahmen für einen geplanten Trailer gemacht. Am Wochenende werde ich ausprobieren, was man daraus zusammenschneiden kann. Die Musik dazu bekomme ich Anfang nächster Woche. Dann sollte der Trailer bis spätestens zum dritten Advent im Netz stehen.

Wir hatten Spaß heute und sind ein Stück vorwärts gekommen. Das ist zur Zeit sehr schwierig, denn seit den Herbstferien hatten wir keine Probe mehr, bei der alle dabei sein konnten.

Negativ: am späteren Nachmittag trudelten bereits die ersten Entschuldigungen für den nächsten Tag ein. Schade!

Positiv:  die Schuhe der Uyulala sind super angekommen. Sie übt jetzt, darin zu laufen.

 

 

Mittwoch, 2. Dezember:

 

Zu Probenbeginn haben wir uns über die derzeit Unzuverlässigsten unterhalten. Ich schätze, wir werden noch etwas umbesetzen müssen. Die ersten Ideen dazu kamen und wir haben gleich einiges ausprobiert. Der Plakatwettbewerb hat zumindest bis heute eine Rückmeldung erhalten – aber die sieht wirklich gut aus. Freut euch also schon einmal auf ein neues, wieder einmal völlig anderes Plakat, und erneut aus unseren Reihen heraus.

Außerdem haben wir noch ein paar Blödel-Aufnahmen für den Trailer gemacht und einige Szenen bei der Probe mitgeschnitten.  Zwei Stunden vergingen wie im Flug.

 

 

Donnerstag, 3. Dezember

 

Kaum freut man sich ein bisschen, dass etwas gut läuft, wird man schon wieder ins Stolpern gebracht. Oder das Schicksal meint es gut mit mir und schickt mich nur darum für fünf Tage in Quarantäne, damit ich den Trailer schneller zusammenschneiden kann.

Während wir übrigens an der „unendlichen Geschichte“ arbeiten, kommen schon die ersten Ideen für neue Inszenierungen ans Licht. So tauchte gestern der Vorschlag auf, den „Wizard of Oz“ zu inszenieren… Warum nicht? Da kommt ein bisschen Nostalgie auf, denn der „Zauberer der Smaragdenstadt“ und nichts anderes ist ja auch der „Zauberer von OZ“, war unser erstes abendfüllendes Stück! Vielleicht ist das ja sogar erneut ein Wink des Schicksal, denn mit diesem Stück sind wir vor vielen Jahren den ersten Schritt gegangen, um aus einer kleinen Theater-AG etwas Größeres zu schaffen – und nun könnte dieser Stoff die Basis dafür sein sich nach einem solchen Rückschlag wie der Corona-Pandemie neu aufzustellen und vielleicht nicht gleich von vorn, doch zumindest verändert zu beginnen.

Weitere Gedanken sind auch, die filmische Schiene häufiger zu befahren, denn wenn sich diese Homeschooling-Sch*** noch ein Weilchen hinzieht, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als neue Wege zu gehen, wenn wir als Theaterverein überleben wollen.  Demnächst mehr davon.

 

 

Freitag, 4. Dezember

 

Heute wäre Premiere. Ich muss schlucken, während ich das schreibe. Seit fünfundzwanzig Jahren oder so zum ersten Mal keine Theaterpremiere am ersten Freitag im Dezember.

Das ist der Abend, auf den du mindestens ein halbes Jahr lang hingearbeitest hast.  Irgendwann zu Jahresbeginn, im zeitigen Frühjahr habt ihr euch auf eine Vorlage für ein neues Stück geeinigt, nach vielen Diskussionen, Vorschlägen und Ablehnungen, langem Grübeln, ob das Ganze auf unserer Bühne machbar ist und so weiter.

Dann liest du und liest und liest erneut und machst dir Notizen, und Marginalien entstehen, erste Zeichnungen, und nach und nach, wie ein riesiges Puzzle, setzt du die einzelnen Teile zusammen und ein Konzept entsteht. Du diskutierst dein Konzept mit dem musikalischen Leiter, der auch seine Ideen einbringt, ihr handelt und feilscht und blödelt und lacht und irgendwann gibt es dann eine Liste mit Liedern, die ins Stück eingebaut werden könnten. Du schreibst wieder, baust Szenen auf und um, verwirfst, schreibst neu und erste Textzeilen huschen durch den Hinterkopf, erste Songtextfetzen nerven deinen Gehörgang, und plötzlich steht da ein Konzept für den Szenenaufbau und den Einsatz der Songs. Nun puzzelst du an den Rollen herum, tüftelst, welche Rollen tragend sind, welche notwendig,. Wie viele und welche Schauspieler du zur Verfügung hast, wie du sie alle entsprechend ihrer Fähigkeiten und ihres Mutes einsetzen kannst und dann stellst du das alles den Schauspielern vor, also zunächst dem Vorstand. Und die nehmen deine Ideen auseinander, bewerten die anderen nach ganz anderen Gesichtspunkten, sind kritisch, diskutieren und argumentieren und dann steht wieder ein Konzept, ein anderes, aber es steht. Und du hast nun Gesichter und Namen hinter den Rollen, weißt, wem du was auf den Leib schreiben kannst, siehst schon vor dir, wie du mit jedem einzelnen arbeiten musst, um das umzusetzen, was in deiner Vorstellung harrt. Und viele, stundenlange Spaziergänge mit Hund später, fügen sich die endgültigen Puzzleteile zusammen und du beginnst den Text zu schreiben, dichtest Songtexte um , verbringst Unmengen von Zeit am Computer, um Youtube zu sehen und deine Songideen mit den Originalen abzugleichen , damit Rhythmus und Silben übereinstimmen, summst, brabbelst und singst mit, schreibst Dialoge, die am Ende sowieso wieder anders aussehen, Regieanweisungen, die die Schauspieler wahrscheinlich nie lesen werden, weil sie wissen, dass du sie ihnen sowieso erklärst, änderst Teile der Besetzung, weil du feststellst, dass für ein oder zwei Doppelbesetzungen die Zeit zum Umziehen und zum Umschminken zu kurz ist. Und irgendwann liegen so knapp fünfzig Seiten Text vor dir, die du für alle Beteiligten kopierst und bindest, dazu die Kladden mit den Songtexten für die Musiker, mit denen du Gleiches tust … und dann sind die Sommerferien schon vorbei und die Proben beginnen. Und ihr trefft euch wieder und es wird gelesen und ausprobiert und erste Szenen werden gespielt und sie werden geändert, und du ermutigst und du schimpfst, und du bist geduldig und du bist genervt und du möchtest die hundertste Entschuldigung, warum einer nicht zur Probe kommen kann, nicht mehr hören , und du entwirfst Kulissen und besorgst Baumaterial und Farbe und Werkzeuge und ihr verbringt Ferien- und  freie Tage mit dem Kulissenbau, und ihr diskutiert über die Kostüme und sammelt Ideen und entwerft Plakate und beantwortet schon die ersten Fragen nach Vorstellungen, und du verbringst wieder Stunden am PC und Stunden im Fundus, um Kostüme zu beschaffen und zusammenzustellen und Stunden an der Nähmaschine, um die Teile wieder zu ändern und immer wieder kommen deine Mitstreiter mit neuen Ideen und Beiträgen, die du einbaust oder auch nicht, und du schreibst die Einladungen und machst Termine, und organisierst, und bist froh und dankbar, dass so viele andere dabei sind und dass Menschen auf dich zu kommen und fragen, wie sie helfen können und dir ihre Unterstützung anbieten und alle die vielen, vielen kleinen Teile kommen irgendwann zusammen und ihr probiert eurer Stück vor Publikum und es funktioniert und ihr justiert noch einmal einige kleine Schräubchen und dann kommt irgendwann dieser ominöse erste Freitag im Dezember und deine Nerven sind gepanntund liegen blank und trotzdem musst du die Ruhe in Person sein,  um die anderen aufzubauen, und der Saal füllt sich und du sieht Freunde und Bekannte und ehemalige Mitstreiter und deine Familie und die Familien der anderen und dann?

Dann wird es dunkel und das Spiel beginnt. Und du hörst hinter der Bühne, wie das Publikum mitgeht, und du lobst die Schauspieler, wenn sie wieder nach hinten kommen und gibst ihnen noch kleine Tipps und baust sie auf und faltest sie zusammen und baust sie wieder auf und sorgst dafür, dass die Spannung bleibt und dann ist Pause und du bekommst das erste Feedback und willst es hören und eigentlich doch noch nicht und der zweite Teil beginnt und es geht weiter und dann, irgendwann, nach rund anderthalb Stunden Spielzeit, läuft das Schlusslied und dann ist einen Augenblick lang Stille und dann folgt der Applaus. Und du weißt, wie sie alle da vorn stehen, die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Techniker und die Maskenbildnerinnen, die Sängerinnen und die Musiker und du weißt, da sind rund dreißig oder mehr Kinder und Jugendliche, die ihre Freizeit mit dir verbracht haben, um das da auf die Bühne zu bringen und das ist ihr Augenblick und das ist dein Augenblick. Nicht der, in dem du dann die Bühne betrittst, der ist auch schön, den genießt du so sehr, aber der, in dem du hinter dem Vorhang stehst, ganz allein und alle anderen sind da vorn und du gönnst es ihnen so sehr und gleichzeitig weißt du schon wieder, woran du noch arbeiten musst und du hast schon wieder die erste Idee für etwas ganz anderes … das ist DER Augenblick!

Und den gibt es heute nicht.

 

 

Sonnabend, 5. Dezember:

 

Heute gibt es etwas ganz Besonderes im Theater-Adventskalender:

Hier sind die Top 15 der Ausreden im Jahr 2020, warum man nicht zur Probe kommen kann:

Platz 15:               Bin krank.

Platz 14:               Bin immer noch krank.

Platz 13:               Bin daheeme.

Platz 12:               Mir geht’s heute auch nicht so besonders …

Platz 11:               Ich kann nicht kommen, weil mein Bruder/meine Schwester krank ist.

Platz 10:               Bei mir ist es gesundheitlich schwierig.

Platz 9:                 Ich weiß es noch nicht so genau.

Platz 8:                 Ich kann nicht, weil die Busverbindung doof ist.

Platz 7:                 Bei mir ist etwas dazwischen gekommen.

Platz 6:                 Ich hab noch nen Termin mit meiner Mom.

Platz 5:                 Ich habe private Gründe.

Platz 4:                 Ich muss noch auf den Hund aufpassen.

Platz 3:                 Bei mir würde es sich nicht lohnen, für zwei Stunden nach Neustadt zu fahren.

Platz 2:                 Ich muss zur Altpapiersammeldings.

Platz 1:                 Ich muss noch einem Babyschaf die Flasche geben.

 

(Außerhalb der Wertung:

Seit Schuljahresbeginn gerade zweimal dagewesen – Umbesetzung ist erfolgt.)

 

 

Sonntag, 6. Dezember

 

Neulich in der Schule.

Ein Mädchen, fünfte Klasse, ich kenne ihren Namen nicht, kommt auf mich zu: „Herr Schlegel, darf ich Sie mal was fragen?“ – „Ja klar, natürlich. Was gibt’s denn?“ – „Naja, am Anfang des Schuljahres hieß es ja, dass das Theatercasting im Januar ist. Aber nun fällt ja alles aus wegen Corona und so, und da wollte ich fragen, … wegen Theater bin ich nämlich hierhergekommen, weil ich da unbedingt mitmachen will.“

Sie schaut mich an, der Blick offen, fragend, hoffend. Da kann ich kein Nichtwissen, keine Bedenken, keine Gegenargumente vorschieben. Da gibt es nur eine Antwort.

„Das Casting findet statt. Notfalls einzeln, mit Maske und im Sauerstoffzelt. Wir freuen uns auch schon darauf und werden es durchziehen. Versprochen!“

 

 

Montag, 7. Dezember

 

Heute habe ich am Trailer für „die unendliche Geschichte“ gearbeitet. Was daraus wird, kann man demnächst auf unserer Homepage sehen.

Letzte Woche haben wir die Proben mit der Kamera begleitet. Ohne Drehbuch, dafür mit einigen Ideen. Aufnahmen von Farben, Kulissen, Kostümen. Die Selbstvorstellung einiger Schauspielerinnen und Schauspieler. Alle zusammen im Probenraum. Die Maskenbildnerinnen bei der Arbeit. Abschminken. Gesangsübungen am Flügel. Das Wir-Gefühl. Blödelaufnahmen. Und Probenmitschnitte. Insgesamt 71 Videosequenzen mit einer Gesamtdauer von über 90 Minuten.

Knapp acht Minuten ist der Trailer lang. Etwas Musik kommt noch dazu. Wie so ein Trailer dann entsteht, erfahrt ihr bald.

 

 

Dienstag, 8. Dezember

 

Anleitung zum Trailerbau

Man nehme sich sehr viel Zeit und die schon erwähnten 71 Videosequenzen , schaue sie alle an und trage in einer Tabelle von ca. drei Seiten Länge ein, was und wer in jeder einzelnen zu sehen ist.

Dann denke man kurz darüber nach, was so ein Trailer alles enthalten sollte. Dabei kann man sich durchaus von bereits gefertigten Trailern auf diversen Internetplattformen inspirieren lassen.

Nun schreibt man die Zwischentexte des Trailers, schiebt sie hin und her, korrigiert sie, streicht einige und fügt andere hinzu, kürzt, erweitert, formuliert um oder neu. Dabei darf man getrost am Bleistift kauen und die Welt verdammen.

Nun beginnt man mit dem Schneiden. Text- und Videopassagen sollten sich abwechseln, sich berühren und aufeinander beziehen. Man wählt also von oben erwähnter Liste möglichst passende Videosequenzen aus, schaut sie erneut und meist mehrfach an und überlegt dabei nicht nur, ob sie überhaupt passen, sondern auch, welchen Teil man davon wegschneiden und welchen man bewahren sollte.

Nun schneidet man somit jede einzelne ausgewählte Sequenz so lange zurecht, bis sie halbwegs ins Konzept passt. Dabei denkt man kurz über dieses auch von Nachrichtenmedien angewandte Konzept nach, holt sich einen Kaffee und arbeitet weiter.

Im günstigsten Fall und bei weitestgehend störungsfreier Arbeitsatmosphäre (unterbrochen von zwei Postboten unterschiedlicher Lieferdienste, einem wissensdurstigen Nachbarn, drei hungrigen Katzen und einer unterstreichelten Hündin) hat man ein vorzeigbares Ergebnis in Form der Rohfassung nach ca. vier Stunden erreicht. Nun müssen nur noch die Textpassagen mit Musik unterlegt werden.

Kleinigkeit!

 

 

Mittwoch, 9. Dezember

 

Wer bist du?

Wer bist du auf der Bühne?

Bist du du?

Und wer bist du, wenn du du bist?

Bist du deine Figur?

Deine Rolle?

Ist sie ein Teil von dir?

Nimmt sie dich ein?

Oder nimmst du sie ein?

 

Wer ist deine Rolle?

Wo kommt sie her?

Wo will sie hin?

Wie will sie das erreichen?

 

Gibt sie vielleicht sogar vor,

jemand zu sein, der sie nicht ist?

Die Rolle in der Rolle?

 

Gibst du nicht auch vor,

jemand zu sein, der du nicht bist?

Spielst du eine Rolle?

Spielst du deine Rolle?

Und wo ist deine Bühne?

 

a rose is a rose is a rose …

 

 

Donnerstag, 10. Dezember

 

Wer bin ich?

Ich betrachte das Gesicht im Spiegel. Bin ich das?

Will ich das sein? Oder muss ich das sein?

Warum bin ich das? Warum bin ich so?

Warum stehe ich vorm Spiegel und stelle diese Fragen?

Warum denke ich darüber nach?

Könnte ich doch so sein wie … !

Doch dann wäre ich nicht mehr ich selbst. Ich wäre wie jemand anderes.

 

Ich will ich sein. Ich will es mögen, ich zu sein.

Und ich kann ich sein.

Und ich kann jemand anderes sein.

Genau jetzt und hier. Vorm Spiegel.

Und da draußen. Da kann die Welt mein Spiegel sein.

Ich sehe die Welt. Die Welt sieht mich.

Mein Spiegelbild. Ein Spiegelbild.

Ein Spiegel. Ein Bild.

 

Was siehst du?

Und was bist du?

 

... take a look at yourself and then make a change ...

 

Freitag, 11. Dezember

Wir gehen in eine (mindestens) vierwöchige Zwangspause vom Theaterspiel. Was kann man tun, damit einem die Decke nicht auf den Kopf fällt?

Meine Top Five:

1. Mit dem Hund bei jedem Wetter durch die Natur ziehen. Beide haben Spaß, beide sind und bleiben gesund und beide bekommen was für die Sinne geboten … schnuppern, schauen, fühlen … Geht übrigens auch allein oder mit Menschen …

 

2. Ein gutes Buch lesen. Darüber werde ich demnächst mal ein Türchen komplett schwelgen. Derzeit sind es der absurd-komische Roman „Der Alle, dem Kugeln nichts anhaben konnten“ von Daniel Friedman und das echt lesenswerte Jugendbuch „Bewegliche Ziele“ von Agnes Hammer.

 

3. Mit Freunden in alten Fotoalben kramen und Erinnerungen austauschen. Kann jeder. Selbst Zwölfjährige sagen doch schon „früher hätten wir uns das nicht getraut …“ Upps, bitte nur mit guten Freunden, und mit Abstand …

 

4. Mal wieder richtig alte Filme schauen! So in Schwarz-Weiß. Zum Beispiel Screwball-Komödien aus den Dreißigern … oder (Vorsicht, jetzt wird’s richtig krass!) „Vier Panzersoldaten und ein Hund“ – Das ist so doof, dass es schon wieder gut ist!

 

5. Einen Brief schreiben. So richtig mit Stift, am besten Füllfederhalter, auf Papier. Ausprobieren. Und wer es noch härter mag, schreibt und kalligraphiert mit Tusche und Feder.

 

Probiert’s aus ..

 

 

Sonnabend, 12. Dezember

Die Vorteile von Langeweile

Du liegst auf dem Bett und starrst an die Decke. Schule ist für dieses Jahr vorüber. Gut, du hast noch diese Online-Aufgaben zu erledigen, aber das ist ja nicht wirklich Schule.

Du könntest rausgehen, Freunde treffen, dich verabreden. Dein Handy liegt griffbereit neben dir. Du müsstest nur … aber du hast null Bock. Keine Lust zum Schreiben, zum Warten auf Antwort, zum Drängen , zum …

Du liegst auf dem Bett und fixierst den Deckenputz mit deinem Blick. Du könntest die Augen schließen und schlafen, doch das wäre ja noch langweiliger als …

Du könntest deine Gedanken auch zu Ende denken, nicht mittendrin aufhö … aber das wäre ja anstrengend. Das wäre ja fast wie Schule.

Du liegst auf dem Bett und hörst dir selbst beim Atmen zu. Du probierst langsamer zu atmen, dann etwas schneller. Dann flacher. Du beobachtest, wie dein Brustkorb sich hebt … und senkt … und hebt … und senkt …

Du liegst auf dem Bett und horchst in die Stille. Du vernimmst Geräusche, wo sonst keine waren. Einige erkennst du, kannst du identifizieren. Das leise Klappern eines Dachziegels. Das Keckern einer Elster auf dem Baum gegenüber. Die Bewegung deines linken Fußes.

Du könntest sie festhalten, die Langeweile. Du könntest es wirklich versuchen. Du könntest sie zeichnen. Oder filmen. Oder aufschreiben. Doch wäre sie dann noch langweilig, deine Langeweile?

 

 

Sonntag, 13. Dezember

Ich wollte über Pläne sprechen. Auch das ist ja schon ein Plan.

Pläne für unser Schülertheater. Pläne dafür, wie es weitergehen soll. Womit es weitergehen soll.

Nicht dafür, dass es weitergehen soll. Es geht weiter. Immer.

Ich weiß noch nicht, ob wir „Die unendliche Geschichte“ wirklich als Bühnenstück schaffen. Zu viele Unwägbarkeiten liegen auf dem Weg bis zu einer möglichen Premiere. Wir wissen nicht, wie lange der Lockdown dauert, was danach kommt, welcher Virus im Frühjahr durchs Dorf gejagt wird. Wir wissen nicht, wie es schulisch weitergehen soll, welche Arbeitsmöglichkeiten und – bedingungen dann vorgegeben werden.

Wir müssten mit einer Premiere auf jeden Fall vor den Prüfungen der zehnten Klassen fertig sein.  Das muss nicht erklärt werden. 

Ein Rückschlag und gleichzeitig ein Schritt vorwärts war die Neubesetzung mehrerer Rollen. Vor etwa zwei Wochen habe ich mich zu diesem Schritt entschieden und ihn mit dem Teil der Truppe, die zur Probe da waren, besprochen. Zwei unserer Schauspieler (erspart mir bitte die unsägliche Gender-Korrektheit, eine unnötige Endung zu verwenden) sind seit Monaten nicht zur Probe erschienen. Die eine meldete sich zwar ab und zu im Chat mit entsprechenden Ausflüchten, der andere ging selbst in der Schule nur schweigend an mir vorüber. Um eine Inszenierung auf die Beine zu bekommen, muss jeder, der sich einmal dazu entschieden hat mitzuziehen, das auch tun. Das bedeutet auch, persönliche Belange und individuelle Befindlichkeiten zur Seite zu stellen, auch in Stress-Zeiten mal die Zähne zusammenzubeißen, die Fresse zu halten und zu machen. Deshalb bin ich dankbar für jeden, der zur Probe kommt, egal ob A- oder B-Woche, egal, wie weit die Anfahrt ist, egal, ob er am nächsten Tag eine Arbeit schreibt, egal, ob er vorher noch zwei Freistunden hatte, dankbar für die Freiwilligen, die deren Rollen mit übernommen haben und jetzt in Doppel- oder Dreifachrollen arbeiten, die mitgeholfen haben, Lösungen zu finden, die, die einfach da sind, weil sie daran glauben.   Wir alle sind Faust, wir haben diesen Vertrag mit unserem Blut unterschrieben, nicht weil Mephisto es gefordert hat, sondern weil wir es wollten. Wir haben der Bühne unsere Seele verschrieben. Punkt.

Wenn das jemand nicht mitgehen kann, und ja, so etwas kommt immer wieder einmal vor, dann ist das an sich nicht schlimm. Dann hat uns derjenige eine Zeit lang begleitet, dann sind wir ein Stück unseres Weges gemeinsam gegangen und trennen uns nun. Verwerflich (und in diesem Attribut steckt auch der Vorwurf) ist es jedoch, schweigend zu verschwinden. Vielleicht finden wir noch die Gelegenheit, miteinander zu sprechen, aufzuklären, was Klärungsbedarf erfordert, und einander in die Augen zu schauen.

Ich wollte über Pläne sprechen. Soweit zum Plan.

Sollte es ab 10. Januar weitergehen, dann mit allen. Dann werden sicherlich etliche Arbeiten geschrieben, komplexe Leistungen abgefordert und die Halbjahresnoten stehen an.  Allein diese Fakten reichen, damit sich ein jeder in seine persönliche Komfortzone zurückziehen kann, in der er vorgibt, „etwas für die Schule zu tun“ (das ist meiner Meinung nach eine der verlogensten Behauptungen, die die deutsche Sprache je hervorgebracht hat, denn wer das sagt, beabsichtigt nicht, etwas für die Schule, sondern im besten Falle für sich selbst zu tun, doch meist ist es die Ausflucht vor dem eigenen Unvermögen, sich zu organisieren, und glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche).

Pläne.

Schaffen wir das, alle gemeinsam neu zu starten, dann benötigen wir die Zeit bis zu den Winterferien, damit das Stück steht.  Das bedeutet zwei bis drei Proben pro Woche, dienstags, mittwochs und freitags.

Schaffen wir das, gibt es einen Film.

Schaffen wir das, gibt es eine Premiere.

Schaffen wir das, gibt es Schillers Schüler!

Wie sehen eure Pläne aus?

 

 

Montag, 14. Dezember

Wie spielst du einen frierenden Igel?

Stell dich vor den Spiegel. Am besten vor den größten, den du auftreiben kannst. Beobachte dich.

Was passiert mit dir in der Kälte? Du ziehst den Kopf zwischen die Schultern. Richtest den Blick nach unten, um dein Gesicht vor dem eisigen Wind zu schützen. Du ziehst die Arme, die Ellenbogen an den Körper, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Du ballst die Fäuste. Nein, Hosentaschen findest du keine. Vielleicht eine Hautfalte, aber die dürfte zu klein sein. Du gehst mit kurzen, trippelnden Schritten. Nicht zu schnell, es ist kalt, es ist eisig. Der Weg ist vereist, du musst vorsichtig gehen. Schau dich um, ist auch kein Fuchs in der Nähe? Duck dich in Ecken, tripple an Wänden entlang.

Die Härchen auf deiner Haut stehen vor Kälte. Konzentrier dich, das schaffst du mit purer Willenskraft. The Power of Imagination. Stell dir die Wölkchen vor, die du ausatmest. Du bist kurzatmiger. Kurze, nicht zu kräftige Luftströme stößt du aus. Schnüffle mit der Nase. Rümpfe sie, denn das Einatmen der kalten Luft vereist dir auch diese Härchen. Hast du jemals einem Goldhamster, einem Meerschweinchen oder einem Kaninchen sanft ins Gesicht gepustet? Versuche dich an diesem Gesichtsausdruck. Verenge die Augen, beschütze sie mit den Wimpern, ziehe das ganze Gesicht zusammen, als könntest du es verkleinern. Nun versuche dich erneut am Rümpfen der Nase. Es ist schwieriger, doch es geht. Ziehe die Oberlippe nach oben, als wolltest du Nagezähne zeigen. Variiere den Ausdruck. Probiere, wie weit du dein Gesicht verziehen kannst.  Atme bewusst. Achte beim Einatmen auf deine Nasenlöcher. Stell dir beim Ausatmen die Wölkchen vor. Hauche gegen den Spiegel, um sie zu verdeutlichen.

Vergiss die Körperhaltung nicht. Kreuze die Unterarme vor der Brust, reibe sie aneinander, um Wärme zu erzeugen. Zittere an den Armen. Mit den Armen. Gehe nun. Tripple gegen den eisigen Wind. Stemme dich ihm entgegen. Lehne dich nach vorn. Teste, wie weit du dich vornüber beugen kannst, ohne umzufallen.  

Gehe nun so auf den Spiegel zu. Dein Körper sollte schmerzen ob der Verkrampfungen. Dein Gesicht sollte schmerzen. Stelle dir vor, das liege an der Kälte. Beobachte dich. Versuche Mitleid zu erregen. Wirkt dein Gegenüber so, als ob es Mitleid brauche? Als ob es Hilfe benötige? Wärme? Einen Unterschlupf?

Stell dir vor, du stehst am Bau des Dachses. Schau diesem dicken Kerl in die Augen und bitte ihn mit ersterbender Stimme um Hilfe. Vorsicht, nicht pressen! Du sprichst sanft, aber fest:

„Hilf mir …  Bitte … mir … ist … kalt…“

 

 

Dienstag, 15. Dezember

Wir jagen derzeit die Digitalisierung durch unser Weltendorf. Wir schreien auf, wenn das WLAN fehlt, wir schütteln entrüstet die Köpfe, wenn Lernsax zusammenbricht, wir versenden Hates, wenn der Upload der Hausaufgaben nicht funktioniert…

Wir shoppen online die Innenstädte leer, wir applaudieren für den Krankenpfleger und lassen die Postfrau ein halbes Dutzend Pakete bis zur Haustür schleppen. Wir facebooken, whatsappen, instagrammen und tiktokken, wir zoomen und chatten und …

Wir basteln uns Öhrchen und Schnäuzchen auf die Handyfotos, um „süüüß“ auszusehen. Wir verbringen Stunden auf dem digitalen Marktplatz, weil unser Handy schon vier Jahre alt ist. Wir sorgen dafür, dass Jeff Bezos reicher und reicher wird…

Wir geben Informationen weiter, die wir „im Internet gelesen“ haben, ohne ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wir streamen und bingewatchen und verlieren uns in virtuellen Welten…

Geht hinaus und riecht die Winterluft. Fühlt den Wind, der mit den Haaren spielt. Verlasst die eingetretenen Pfade und lauft wirklich querfeldein. Bestaunt die Borke der Bäume, die letzten Blätter am Ast, die Spuren der Tiere …

Tut das ohne Maps, ohne Apps und ohne Fotos. Sagt niemandem, wo ihr seid. Seid allein. Seid ihr.

Schaut abends in den Nachthimmel und genießt den Anblick der Sterne, Ohne die App, die euch die Sternbilder verrät. Merkt euch wenigstens eine Konstellation. Denkt euch ein eigenes Sternbild aus.

Und erzählt euren Kindern eine Geschichte dazu.

Und wenn sie ihren Kopf an euch lehnen, dann haltet diesen Augenblick fest.

Im Herzen. Nicht mit dem Handy.

Für euch allein. Ungepostet.

 

 

Mittwoch, 16. Dezember

Gestern haben wir uns vorgestellt, wie es wäre, wenn wir gerade aus einer Zeitreise zurückgekommen wären.

Wie wir, angehalten von der Maskenpatrouille, fragen würden: „Wie jetzt? Was für eine Pflicht?“

Und dann haben wir gelacht, laut und herzlich.

 

Ich gehe durch die Straßen der Kleinstadt. Ein Abend im Dezember 2020. Wegen des Klimawandels benötige ich keine Handschuhe. Neben mir läuft mein „triftiger Grund“ und schiebt mir immer wieder einmal seine Nase in die Handinnenseite. Als Aufforderung sozusagen.  

Manchmal scheint es, als wären in diesem Jahr mehr Fenster festlich geschmückt als sonst. Vielleicht liegt aber auch daran, dass mehr Fenster dunkel sind. Ladenfenster. Die ersten wurden dunkel, weil sie den Neoliberalismus der Jahrtausendwende nicht überlebten. Die nächsten, weil sie nicht dagegenhalten konnten, als die Einkaufsparadiese am Rand der Städte entstanden und die Menschenströme aus den Innenstädten herausmäanderten. Weitere, weil die Besitzer ins Rentenalter kamen, und sich niemand fand, der da sagte: Ich mache das!“, sondern viele,  zu viele „irgendwas mit Medien“ oder, noch schlimmer“ „irgendwas mit Menschen“ machen wollten. Und nun die letzten, so lange sie nicht Nahrung oder Tierfutter verkaufen.

Der Marktplatz ist festlich geschmückt, aber das Funkeln der Lichter verliert sich in der Leere. Der letzte Bratwurstmohikaner wurde vom Sheriff ins Reservat verwiesen. Einsam blinkt der Weihnachtsbaum. Es riecht nicht nach gebrannten Mandeln.

In der Zeitung stand, dass die Hälfte der Bevölkerung eigentlich gar keinen Glühwein mag. Kunststück. Das Beste am Glühwein sind die Menschen, mit denen man ihn trinkt.

„Triftiger Grund“ stupst mich an. Wir gehen weiter. Aus dem Blumengeschäft am Park kommt mir eine Frau entgegen, zwei Alpenveilchen tragend. Sie lächelt. Kurz begegnen sich unsere Blicke. Ich lächle. Es ist schön, ein Gesicht zu sehen.

 

 

Donnerstag, 17. Dezember

Ich möchte gern einmal wieder über Schauspiel sprechen. Über Shakespeare. Wer immer er war, eines war er auf jeden Fall: ein Genius. Ich liebe seine Sprache. Seit über 400 Jahren werden seine Stücke gespielt überall auf der Welt, von kleinen Amateurtheatern und weltberühmten Bühnen.

Einer der schönsten Monologe überhaupt, zumindest nach meinem limitierten Wissen, ist Romeos Rede über seine geliebte Julia:

Sie ist es, meine Göttin, meine Liebe!
O wüsste sie, dass sie es ist! -
Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das?
Ihr Auge redt, ich will ihm Antwort geben. -
Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.
Ein Paar der schönsten Stern am ganzen Himmel
Wird ausgesandt und bittet Juliens Augen,
In ihren Kreisen unterdes zu funkeln.
Doch wären ihre Augen dort, die Sterne
In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz
Von ihren Wangen jene so beschämen
Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd ihr Aug
Aus luftgen Höhn sich nicht so hell ergießen,
Dass Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen?
O wie sie auf die Hand die Wange lehnt!
Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand
Und küsste diese Wange!

Doch Shakespeare hat uns noch viel mehr zu bieten in diesem Stück, so Julias Bitte etwas später:

Komm, ernste Nacht, du züchtig stille Frau,
Ganz angetan mit Schwarz, und lehre mich
Ein Spiel, wo jedes reiner Jugend Blüte
Zum Pfände setzt, gewinnend zu verlieren!
Verhülle mit dem schwarzen Mantel mir
Das wilde Blut, das in den Wangen flattert,
Bis scheue Liebe kühner wird und nichts
Als Unschuld sieht in innger Liebe Tun.
Komm, Nacht! Komm, Romeo, du Tag in Nacht,
Denn du wirst ruhn auf Fittichen der Nacht
Wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken.
Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib
Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,
Nimm ihn, zerteil in kleine Sterne ihn:
Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,
Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt
Und niemand mehr der eitlen Sonne huldigt. -

Ein weiterer zu erlesender, zu erlebender Monolog ist der des Grafen Capulet, Julias Vater, als seine Tochter sich der Heirat mit Paris verweigert:

Gotts Sakrament, es macht mich toll! Bei Tag,
Bei Nacht, spät, früh, allein und in Gesellschaft,
Zu Hause, draußen, wachend und im Schlaf,
War meine Sorge stets, sie zu vermählen.
Nun, da ich einen Herrn ihr ausgemittelt,
Von fürstlicher Verwandtschaft, schönen Gütern,
Jung, edel auferzogen, ausstaffiert,
Wie man wohl sagt, mit ritterlichen Gaben,
Kurz, wie man einen Mann sich wünschen möchte,
Und dann ein albern, winselndes Geschöpf,
Ein weinerliches Püppchen da zu haben,
Die, wenn ihr Glück erscheint, zur Antwort gibt:
Heiraten will ich nicht, ich kann nicht lieben,
Ich bin zu jung, ich bitt, entschuldigt mich. -
Gut, willst du nicht, du sollst entschuldigt sein;
Gras', wo du willst, du sollst bei mir nicht hausen.
Sieh zu! Bedenk! Ich pflege nicht zu spaßen.
Der Donnerstag ist nah: die Hand aufs Herz!
Und bist du mein, so soll mein Freund dich haben;
Wo nicht, geh, bettle, hungre, stirb am Wege!
Denn nie, bei meiner Seel, erkenn ich dich,
Und nichts, was mein, soll dir zugute kommen.
Bedenk dich! Glaub, ich halte, was ich schwur!

Lest laut. Lest mit Gefühl. Denkt euch in die Figuren hinein. Und wenn ihr mehr davon haben wollt, dann schaut in das „projekt-gutenberg.org“ , eine Fundgrube der Literatur.

 

 

Freitag, 18. Dezember

Gibt es denn überhaupt noch etwas zum Lachen?

Oh ja! Auch wenn es gefühlt deutlich weniger offen passiert. Andererseits … du musst den Menschen nun genau in die Augen schauen, um zu sehen, ob sie schmunzeln, lächeln, lachen …

Kürzlich las ich, dass die Atemluft beim Lachanfall mit ca. 100 km/h aus dir herausschießt. Das ist cool. Und … stell dir das jetzt einmal im Supermarkt vor! Oder in der Schule! Dann heißt es nicht mehr „Ich lach mich tot!“, sondern …

Eben gelacht? Wenigstens geschmunzelt? Gut! Dann klappt das noch mit dem Humor!

Drei Momente der vergangenen Tage, in denen ich gelacht habe. Nicht, dass es nicht mehr waren, aber ich lasse diese drei mal exemplarisch stehen.

Erstens. Gestern war ich wieder mit „triftigem Grund“ draußen und wir sind ins Waldgebiet unterhalb des Valtenbergs gelaufen. Am Waldrand haben wir beide dann zwei Spechte beobachtet, die sich um eine Baumhöhle stritten. Das war ein Streiten und Schimpfen, ein Flattern und Fliegen. Es interessierte die beiden nicht die Bohne, dass wir direkt unter ihnen standen und ihnen zuschauten. Die beiden waren so mit sich und ihrem Wohnungsproblem beschäftigt,  dass alles um sie herum in den Hintergrund gerückt war. Während „triftiger Grund“ sich nach kurzer Zeit gelangweilt wegdrehte, sich hinlegte und mit dem Kopf auf den Vorderpfoten darauf wartete, weiter Spuren verfolgen zu dürfen, stellte ich mir die Übersetzung des Streitgesprächs vom Spechtischen ins Deutsche vor. Das Kopfkino lief und ich prustete los.

Zweitens. Olli Dittrich als Peter Trump, erfundener Cousin des scheidenden US-Präsidenten in „House of Trumps“. Muss man gesehen haben. Wer Olli mag und Dittsche liebt, der weiß, wovon ich spreche.

Drittens. In einer der Pausen der letzten Präsenzschulwoche musizierten Herr Förster und sein Mini-Chor weihnachtlich durch die Aula, als sie von der Durchsage „Frau Wolf meldet sich bitte im Sekretariat!“ unterbrochen wurden. Herr Förster nahm diese Durchsage sofort als Text auf, der Chor stieg mit ein und alle zusammen sangen weihnachtlich froh gestimmt „Frau Wolf meldet sich bitte im Sekretariat!“

Also lacht mal wieder! Lachen ist eine zivilisatorische Leistung. Lachen unterscheidet uns vom Tier.

 

 

Sonnabend, 19. Dezember

Das war ein langer Tag mit einer Menge Arbeit und die Zeit verging wie im Flug.

Beinahe hätte ich es doch verpasst, den heutigen Beitrag zu schreiben.  Wie schnell doch manchmal die Zeit vergeht …

Habe ich das wirklich eben gesagt? Fünf Euro ins Phrasenschwein. Zeit vergeht nicht schnell oder langsam, nur wir behaupten das, wenn wir eine geliebte oder auch ungeliebte Tätigkeit ausführen, mit Menschen zusammen sind, die wir mögen oder auch nicht, an Orten sind, von denen wir träumen oder auch alpträumen.

Aber ist es nicht absurd, dass uns die Zeit gerade dann „langsam vergeht“ , wenn wir sie mit weniger schönen Erfahrungen verbinden, und schneller, wenn es doch um Augenblicke gehen sollte, die andauern könnten?

Sollten wir nicht gerade deswegen versuchen, anstreben, eben solche Augenblicke bewusst festzuhalten? Zu verinnerlichen, somit zu bewahren, sich ihrer anzunehmen, sich ihrer erinnern und sie pflegen?

Sollten wir nicht auch uns bemühen, diese so negativ konnotierten Momente, die so schier lange wirken, aus einer anderen Perspektive zu betrachten? Wenn uns die Orte oder Tätigkeiten, mit denen wir diese Momente teilen,  nicht sympathisch zu sein scheinen, wir ihnen also die „Schuld“ an der Vergänglichkeit der Zeit geben, so könnte es doch eine neue, eine interessante, vielleicht sogar eine spannende oder aufregende  Expedition ins Ungewisse sein, zu versuchen, diese Plätze und Aktivitäten aus einer anderen Perspektive zu betrachten, ja vielleicht sogar sich selbst an diesen Orten oder bei diesen Taten aus einer anderen Perspektive zu sehen?

Und wenn wir uns dann vielleicht sogar noch darauf einlassen, Gleiches mit anderen Menschen zu tun? Unvoreingenommen oder zumindest etwas weniger von Vorurteilen behaftet an sie heranzutreten? Ihnen zuzuhören? Sich auszutauschen?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass da nicht bei jeder Begegnung zu einer Freundschaft fürs Leben führen kann. Aber der Versuch wäre es doch wert.

Oder?

 

 

Sonntag, 20. Dezember

Drei Theater- Dinge, die ich gern 2021 erleben möchte:

  1. Eine Bühnenpremiere der „unendlichen Geschichte“.

Auch wenn es derzeit (noch) nicht danach aussieht und auch wenn im Januar wahrscheinlich (noch) kein Präsenzunterricht stattfinden wird und somit auch keine Proben mit allen Beteiligten möglich sein werden. Wir können das schaffen. Aber wollen müssen wir.

 

  1. Der Film zum Stück „Die unendliche Geschichte“ .

Vielleicht gehen wir ja aus all diesen Herausforderungen stärker hervor und schaffen es zum ersten Mal in der Geschichte unseres Schülertheaters, Bühnenpremiere und Film zu produzieren. Und mit Film meine ich keinen Mitschnitt der Aufführung, sondern einen Film mit verschiedenen Kameraperspektiven, gutem Sound und einer Filmpremiere … vielleicht sogar im Kino? Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

 

  1. Einen hektischen Herbst 2021.

Jedes Jahr habe ich ihn innerlich verflucht, den Herbst. Der Druck, bis zum ersten Freitag im Dezember ein Stück auf die Bühne zu bringen, mit all den Vorarbeiten, den Vorbereitungen, den Proben, den Werkstatttagen zum Kulissenbau, dem Workshopwochenende, den unzähligen Stunden am PC, zum Texteschreiben und Umschreiben,  auf der Suche nach Kostümen und Requisiten, den Stunden an der Nähmaschine, der Vorbereitung des Plakates und des Programmheftes. Der blanke Horror! Aber wie es eben so ist bei einem Horrorfilm – du kannst nicht wegschauen. Und andererseits … bei all dem Fluchen … in diesem Jahr war das alles ja nicht weg, aber eben reduziert, stark reduziert, und dann fehlt eben auch etwas.

Ja, so einen Herbst möchte ich wieder haben, erleben, verfluchen und … mich daran erfreuen.

 

Bonuswunsch:                 

Ob mit oder ohne Stück … irgendein Theatertreffen, ein Austausch mit anderen, mit Kindern und Jugendlichen und Erwachsenen, vielleicht mit Denise oder mit Örni, mit Thomas oder … Hauptsache wieder Kontakt!

 

 

Montag, 21. Dezember

In den Supermärkten werden die Geschenkregale abgesperrt. Es gibt keine Blumen mehr, nur tote Bäume dürfen erworben werden.

Und Bücher werden nicht als Lebensmittel angesehen.

Die Zeit ist aus den Fugen! The time is out of joint!

Und nur wer Bücher kennt und liebt, der weiß auch, dass das  eben eine Textzeile aus William Shakespeares „Hamlet“ ist .

Wir sind noch nicht ganz bei Jakob van Hoddis‘ „Weltende“, aber bei „die meisten Menschen haben einen Schnupfen“ komme ich schon ins Grübeln.

Ich habe vielleicht nicht genügend Konservendosen im Keller, um längere Zeit den Spahnsinn dieses Landes zu überleben, doch auch wenn alles hier den Lauterbach heruntergeht, so habe ich doch noch zwei-, dreitausend Lebensmittel in der Bibliothek. Und, so lange ich noch schlechte Wortspiele beherrsche, so lange mein Sinn für Humor noch nicht völlig auf die dunkle Seite der Macht, den Sarkasmus, gewechselt ist, so lange ich noch Freude am Lesen und Freude am Schreiben habe, so lange ich mich noch über Kurt Schwitters‘ Ursonate vor Lachen in die Ecke werfen kann, …

… so lange ist noch nichts verloren.

Aber Buchläden zu schließen? Bibliotheken zu verrammeln?  Den Menschen ihr Grundrecht auf Kultur zu verweigern? Und komme mir jetzt bitte niemand mit dem Grundgesetz! Kultur ist es, was uns vom Tier unterscheidet. Bildende Kunst, darstellende Kunst, jede Art von Kunst. Der Mensch hat sich mit Kunst beschäftigt, Jahrtausende bevor er begann sich mit Ackerbau zu beschäftigen. Kunst und Kultur sind Teil unseres Lebens, ein lebenswichtiger Teil sogar. Vielleicht auch ein überlebenswichtiger.

Ich liebe Schiller, ich mag aber auch Lee Child und Stephen King. Ich vergesse mich bei Dostojewski und Bulgakow, aber ich kann auch Erdbeerinchen und Räuber Hotzenplotz nicht vergessen. Ich verehre Steinbeck und Hemingway, ich lese Bob Dylan ebenso wie Dylan Thomas, ich begeistere mich bei Brecht und Müller,  ich stöbere in den Versen von Rilke wie von Kaleko oder Strittmatter und ich kniee nieder vor Shakespeare. Ich wäre nicht ich selbst ohne sie alle und ohne die vielen anderen, die seit vielen Jahren mein Leben bereichern.

Wer also nimmt mir das Recht, ihre Werke zu erwerben  -  ohne Jeff Bezos mein Geld in den Rachen  werfen zu müssen?

Fragen eines Lesenden.

So viele Berichte.

So viele Fragen.

 

 

Dienstag, 22. Dezember

Da gibt es noch so einige Ideen für Dinge, die wir im Theaterverein so anstellen könnten. Drei davon möchte ich heute vorstellen.

  1. Improvisationstheater als Wettbewerb

Ja, ich weiß, das  ist nichts absolut Neues. Aber als Schülertheater? Als Live-Performance auf der Bühne der Schillerschule? Mit Publikum?

Zwei Mannschaften treten gegeneinander an. Wertungsrichter ist das Publikum via Applausometer. Diverse Wertungsrunden, zum Beispiel Märchen in verschiedenen Varianten. Als Krimi, als Musical …oder die allseits beliebte Dia-Show.

Also, ich kann’s mir gut vorstellen.

 

  1. Eine Quizsendung

Es gab mal vor einiger Zeit eine Quizsendung namens „Straßen-Stars“. Da mussten drei Semi-Prominente drei Leute von der Straße beurteilen, zum Beispiel „Wer weiß es?“ , oder „wer ist es?“ Die Leute wurden vorher befragt und gefilmt. Die Einspieler liefen dann jeweils auf dem Bildschirm.

Das kann ich mir gut als „Klassen-Stars“ vorstellen. Drei Klassenlehrer müssen ihre Schüler einschätzen. Kostet sicherlich einiges an Überredungskunst und braucht Vorbereitung, aber machbar ist es. Das Ganze dann, gut vorbereitet, als Live-Show am Abend in der Aula. Und natürlich als Film …

 

  1. Ein Flashmob

Der letzte ist schon Jahre her. Damals kamen Flashmobs gerade aus den USA herüber. Das Ganze als Mischung aus Musik, Gesang und Tanz in Zusammenarbeit mit der Band. Irgendwo im öffentlichen Raum. Im Kaufland … beim Wochenmarkt … oder im Mariba … oder bei einer Schülervollversammlung am Ende des Schuljahres …  was haltet ihr davon?

 

 

Mittwoch, 23. Dezember

Was macht eigentlich glücklich?

Morgen ist Weihnachten. Viele feiern die Geburt Jesu, viele feiern die Wintersonnenwende, viele feiern einfach nur ein Fest der Familie. Man trifft sich, man tauscht sich aus, man isst und trinkt, man beschenkt sich gegenseitig, man spielt vielleicht und man singt und musiziert vielleicht auch gemeinsam. In diesem Jahr vielleicht in kleinerem Personenkreis. Vielleicht.

Und man ist glücklich. Vielleicht. Zufrieden. Vielleicht.

Ja, es gibt so viele Gründe, nicht zufrieden zu sein. Sich nicht glücklich zu schätzen. Doch es gibt immer auch Gründe für Zufriedenheit. Und für Glück. Ganz besonders für Glück.

In Sachsen beispielsweise darf man sich schon bei negativem Lob freuen. Das muss man sogar, denn besser kann es nicht werden. Die Aussage „Das ist ja gar nicht mal so schlecht!“, vielleicht sogar noch mit der Betonung auf dem „sooo“ ist mancherorts schon ekstatisch.

Doch was kann uns glücklich machen? Ein paar Beispiele aus meiner ganz persönlichen Sicht:

Musik. Ich liebe Musik. Musik der verschiedensten Art. Je nach Stimmung.  Und ich kann mich bei Musik vergessen. Mich darin verlieren. Musik kann glücklich machen. Mit fünfzigtausend Menschen in einem Stadion singen. Oder zu Hause allein Charlie Parker hören. Und alles, was dazwischen liegt.

Kuchen. Ich backe Kuchen, ich esse Kuchen, ich verschenke Kuchen. Kuchen backen macht mir den Kopf frei. Ausprobieren. Variieren. Verzieren. Essen, schmecken, auf der Zunge zergehen lassen.

Tandoku Renshu. Muss ich wohl erklären. Judo ist mein Sport Nummer Eins. Seit vielen Jahren. Trainiert man bestimmte Techniken allein, sich den Partner/Gegner vorstellend, dann wird das zu einer Art Schattenkampf, bei der man sich auf die eigene Körperbeherrschung fokussiert. Gerade beim Kata-Training ist Tandoku Renshu wichtig. Und man lernt dabei, Unwichtiges auszublenden. Und es gibt so viel Unwichtiges auf dieser Welt.

Diejenigen Menschen wertschätzen, die es wert sind. Egal, ob man es ihnen sagt (das sollte man schon ab und zu) oder nicht, wichtig ist es, sich selbst klarzumachen, dass es diese Menschen gibt, dass sie für einen da sind. Und man sollte nicht vergessen, immer wieder einmal darüber nachzudenken, was einem so wichtig an diesen Menschen erscheint. Und auch, warum sie sich für einen selbst einsetzen, zu einem stehen. Was verbindet euch? Was verbindet uns? Warum sind wir uns so wichtig? Allein darüber nachzudenken, das nicht als selbstverständlich hinzunehmen ist schon Wertschätzung.

Und außerdem  … Spaziergänge, Lachen, Bücher … und ab und zu einmal etwas Stille. Stille Nacht.

 

 

Donnerstag, 24. Dezember

Best Moments

Heute sollte an dieser Stelle eine Aufzählung, ein Best Of der schönsten Theatermomente 2020 stehen. Das war meine Idee, als ich mit dem Adventskalender begann. Seitdem habe ich überlegt und gesammelt, notiert und skizziert, was wohl alles dazu gehören könnte und sollte.

Es ist aber nicht möglich, eine Reihenfolge festzulegen. So viele Momente, so viel Zeit haben wir miteinander verbracht, auch wenn es deutlich weniger war als in den Jahren zuvor, dass eine Top Ten Liste oder ähnliches nicht realisierbar ist. Ich kann nicht sagen, dass der eine Moment ein besserer oder schönerer gewesen sei als der andere. Letztendlich genieße ich jeden Moment, den wir zusammen verbringen …

Erinnert ihr euch an den Tag, als ich euch die Nachricht überbrachte, dass wir wieder für Chemnitz zugelassen sind? Die größeren von euch erklärten dann den jüngeren, was das eigentlich bedeutete, erzählten von der Größe der Bühne und dem Erlebnis, dort zu spielen, planten schon, wer mit wem zusammen in welchem Zimmer der Jugendherberge übernachten würde, und frischten schon einmal die Erinnerungen an die letzten Workshops auf.

Bei einer Vorstandssitzung Anfang des Jahres besprachen wir die Auswahl des nächsten großen Theaterstückes und ihr habt dabei so ernsthaft, so engagiert diskutiert und abgewogen, welches Stück warum in Frage komme und welches aus welchen Gründen nicht, das kann kein lehrplanorientiertes Argumentieren ersetzen, das war schlicht und einfach Lebenskunde.

Die erste Probe nach dem Frühjahrslockdown war ebenfalls ein solcher Moment. Alle waren so froh, so glücklich, wieder zusammen zu sein, wieder gemeinsam spielen zu können.

Oder die erste Leseprobe zur „unendlichen Geschichte“ als ihr alle mit Textmarkern da saßt und eure Textzeilen suchtet, mit dem Text gekämpft habt wegen der Namen (ich sage nur „Pjörnrachzark“), wie ihr euch gefreut habt, einen Rechtschreibfehler im Text zu finden, oder dass ihr mich gelobt habt, weil ich endlich einmal die Seitenzahlen größer geschrieben habe als sonst.

Die Momente der Videoaufnahmen für den Trailer, wie ihr nochmals hinausgegangen seid um euren Beitrag zu proben und wie souverän ihr dann mit der Kamera umgegangen seid.

Oder die Augenblicke, als wir mit den Maskenbildnerinnen zusammen überlegt haben, wie die Gesichter der einzelnen Figuren in der Geschichte aussehen sollen, ob sie zum Kostüm passen und wer wie schnell umgeschminkt werden muss.

Ein Augenblick bei einer Schminkprobe, als einer der jüngeren der Satz „Oah, ich bin so unbegabt!“ entfuhr, weil sie sich ärgerte und unzufrieden mit ihrer Leistung war.

Es gibt so viele Augenblicke, die wichtig waren, die schön waren, die bewahrt werden sollten.

Und es wird wieder viele solche Augenblicke geben, da bin ich ganz sicher.

Es ist Weihnachten. Wir schauen zurück auf das vergangene Jahr, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Und wir schauen nach vorn und freuen uns auf das kommende Jahr. Wir hoffen, dass es mehr halten kann als uns das vorherige versprochen hat.

Es ist Weihnachten. Genießt die Momente dieses Tages, dieses Abends. Genießt die Feiertage und die Ferien. Bleibt gesund und bleibt optimistisch.

Euch allen, euren Freunden und Familien eine schöne, eine besinnliche Weihnacht.

Zurück